
Anfangs kam das Ende – Ein Gedicht von Sandra Praher
Anfangs kam das Ende
– Ein Gedicht von Sandra Praher –
Vorgestern war noch alles anders.
Gestern hat sich alles verändert.
Und heute weiß ich nicht, wer ich bin.
Vorgestern konnte ich alles lernen und Dinge entdecken.
Ich musste lieben und die Welt umarmen, denn so wünschte ich es mir.
Ich durfte rausgehen und mich frei bewegen.
Ich sollte Mama und Papa wissen lassen, wo ich bin,
damit sie wussten, dass ich gerade Ich war.
Ich hatte die Kontrolle.
Über meine Gedanken, meine Gefühle und
die kleine Ecke in meinem Gehirn,
die für das Lieben zuständig war.
Vorgestern brauchte ich Dinge in meinem Leben,
die ich umarmen durfte.
Ich brauchte etwas, um zu spüren.
Ich brauchte etwas, um gespürt zu werden,
denn das erfüllte mich mit Dankbarkeit.
Gestern konnte ich nicht mehr alles lernen und Dinge entdecken.
Ich musste büffeln und zu Hause bleiben, denn so war es erwünscht.
Ich durfte nicht in die Welt hinausgehen und war eingesperrt.
Ich sollte auf einmal wissen, was ich machen und was ich werden will.
Ich wollte doch einfach nur Ich sein.
Alles geriet außer Kontrolle.
Die Welt, die Familie, mein Selbsthass und
die kleine Ecke in meinem Gehirn,
die für das schlechte Gewissen zuständig war.
Gestern brauchte ich Dinge in meinem Leben,
die mich über etwas herrschen ließen.
Ich brauchte etwas, um alles andere nicht mehr zu spüren.
Ich brauchte etwas zum Festhalten, denn ich ging unter.
Heute konnte ich alles lernen und Dinge entdecken, tat es aber nicht.
Ich musste lernen mit meinen Gefühlen klarzukommen, denn so wollten es alle.
Ich durfte in die Welt hinausgehen, fühlte mich dennoch eingesperrt.
Ich sollte wissen, wer ich bin, wusste es aber nicht.
Ich wollte heute Ich sein, war aber niemand.
Ich wollte die Kontrolle nicht mehr.
Sie einfach abgeben und doch hielt ich mich an ihr fest.
Heute brauchte ich Dinge in meinem Leben,
die mich am Leben hielten.
Ich brauchte meine Familie, um mich nicht gehen zu lassen.
Ich brauchte mich selbst, doch ich war nicht für mich da.
Morgen hätte ich wieder die Möglichkeit,
jeden Wimpernschlag voll und ganz auszuleben und zu spüren,
aber manchmal ist Leben schwerer als Sterben.
Doch übermorgen gibt es da einen Funken Hoffnung, der sich Liebe nennt.
Und überübermorgen bin ich endlich glücklich.